Sport, Wertschätzung, Spass und viele Emotionen

    Grossartige Winterspiele für geistig behinderte Menschen in Chur

    Die nationalen Winterspiele von Special Olympics Switzerland wurden Anfang März in Chur abgehalten. Über 530 geistig behinderte Athletinnen und Athleten aus der ganzen Schweiz haben sich in den Disziplinen Ski Alpin, Snowboard, Langlauf und Unihockey gemessen. Dabei standen an diesen nationalen Spielen nicht Laufzeiten oder Resultate im Vordergrund, sondern menschliche Werte, die in unserem schnelllebigen und profitorientierten Alltag allzu oft untergehen.

    (Bilder: Hervé Dubois und Andreas Wegenstein) Der Arcas in der Churer Altstadt ist anlässlich der Eröffnungsfeier voll besetzt.

    Special Olympics ist die weltweit grösste Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung. Sie ist in über 170 Ländern vertreten und seit dem Jahr 1988 vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannt. Rund 250 000 Betreuer und weit über 800 000 Freiwillige ermöglichen die Durchführung von regelmässigen nationalen und internationalen Olympischen Spielen, an die rund um den Globus gegen 4 Millionen Athletinnen und Athleten teilnehmen.

    Die Special Olympics Switzerland ist die Schweizer Sektion dieser internationalen Bewegung. Der Schweizer Ableger führte während vielen Jahren ein eher zurückgezogenes Dasein. Man zog es damals vor, unter sich zu bleiben und stellte die Integration von geistig Behinderten in der Gesellschaft nicht in den Fokus. Mit einem neuen Stiftungsrat und einer neuen operativen Führung wurden ab 2011 andere Wege beschritten. Bruno Barth, der ehemalige Direktor der Schweizer Sporthilfe, wurde Geschäftsführer und mit der Aufgabe betraut, die Bewegung in der Schweiz neu auszurichten. Unter seiner Führung wurden 2012 die nationalen Winterspiele an der Lenk, zwei Jahre später die Sommerspiele in Bern und dieses Jahr wiederum Winterspiele in Chur ausgetragen.

    Die olympische «Flamme der Hoffnung» auf dem Arcas

    Kennedy-Schwester als Gründerin
    Die Geschichte der Special Olympics geht auf Eunice Kennedy zurück, einer Schwester des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy. Sie gründete die Bewegung im Jahr 1968. Das ist der Grund, warum Special Olympics in den USA ein fester Begriff ist, weit bekannter als beispielsweise die Paraolympics. In Europa ist es genau umgekehrt.

    Die Vision in seiner Aufgabe umschreibt Bruno Barth mit «Wertschätzung, Akzeptanz und Gleichstellung von Menschen mit geistiger Behinderung». Aus dieser Vision lässt sich die Mission von Special Olympics Switzerland ableiten: «Wir unterstützen Menschen mit einer geistigen Behinderung darin, sich über den Sport leistungsmässig zu entwickeln. Damit fördern wir das Selbstwertgefühl, die körperliche Fitness, die Selbstständigkeit und den Mut, Neues zu wagen. Unsere Anlässe ermöglichen gemeinsame Erlebnisse mit anderen Athleten, Familienangehörigen und der Gesellschaft».

    Existenzielle Werte
    «Lasst mich gewinnen, doch wenn ich nicht gewinnen kann, so lasst mich mutig mein Bestes geben». Das ist der Wortlaut des Athleten-Eids der Special Olympics, der jeweils an der festlichen Eröffnungszeremonie der Spiele in den drei Landessprachen von je einem Athleten vor dem Entzünden der olympischen Flamme abgelegt wird. Dieser Eid steht für aufrichtiges, freundschaftliches und faires Verhalten während den Wettkämpfen. Aber nicht nur, denn auch im Alltagsleben soll diese Devise gelten, sei dies am Arbeitsplatz, in der Familie oder im Freundeskreis. Ein zweiter äusserst wichtiger Wert ist die Wertschätzung gegenüber den Mitmenschen, an Wettkämpfen wie auch im Alltag. «Wir drücken allen Menschen, in allen Stufen unserer Bewegung für ihr Engagement, ihre Energie und ihr Mitwirken unsere Wertschätzung aus», heisst das mit den Worten von Special Olympics.

    Ferner werden Eingliederung und Respekt spürbar gelebt. Als freiwillige Helfer ohne Behinderung an Anlässen von Special Olympics, spürt man das bei der Ankunft am Austragungsort schon von der ersten Sekunde an. Es herrscht nicht Mitleid, sondern ein Geist des gegenseitigen Respekts und des Willens, Behinderte und Nicht-Behinderte wie bei einer Symbiose so zu verschmelzen, dass jeglicher Abgrenzungs-Gedanke automatisch verschwindet. Die beiden Welten, in denen sich Behinderte und Nicht-Behinderte bewegen, vereinen sich so auf einen Schlag zu einer einzigen Realität, in der alle Platz haben.

    Bewegende Momente
    Wie es in Chur alle Beteiligten erneut erfahren durften, sind solche Spiele von vielen starken, höchst bewegenden Momenten geprägt. Oft fliessen Tränen bei den Athleten, als Ausdruck der Freude oder auch der Enttäuschung. Besonders die zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfer, die im Alltag nicht mit geistig behinderten Menschen arbeiten, bekommen diese ausgeprägten Emotionen stark zu spüren.

    Geistig behinderte Menschen leben stets in der Gegenwart, sie erleben das Jetzt und schauen selten zurück und schon gar nicht nach vorne – das Planen ist ihnen in der Regel fremd. Zudem zeigen sie ihre effektive Gemütslage, ohne Gefühle zu vertuschen. Sie sind «echt» im Leben, nicht berechnend oder irgendwelchen Normen nacheifernd. Besonders ausgeprägt sind solche emotionalen Momente anlässlich der Medaillenübergabe. Die Gefühlsausbrüche der Athletinnen und Athleten sind derart ehrlich und entsprechend bewegend, dass sich die freiwilligen Helfer direkt betroffen fühlen. Dann fliessen auch bei ihnen die Tränen. Es herrscht eine Solidarität in den Gemütslagen, die sich nicht in Worten fassen lässt.

    Prominenter Zaungast in der Unihockey-Halle: Bundesrat Guy Parmelin

    Echte Integration
    Während den Spielen entstehen Freundschaften zwischen den Athleten und den Freiwilligen, die nicht selten auch zu Wiedersehen ausserhalb der Wettkämpfe führen. Und alle – Athleten, ihre Betreuer und die Freiwilligen – freuen sich schon heute gleichermassen auf die nächsten nationalen Spiele. Als Freiwilliger fühlt man sich nach diesen Tagen eigentlich gar nicht so viel anders als die Athleten. Nach der gemeinsamen Party im Olympiadorf sagte ein Freiwilliger ganz spontan: «Heute Abend hätte ein Auswärtiger kaum zwischen geistig Behinderten und Nicht-Behinderten unterscheiden können. Wir waren einfach alle gleich und wollten nur eins: Zusammen feiern, tanzen und Spass haben.»

    Solche Aussagen beweisen, dass Integration eigentlich gar nicht so kompliziert ist. Es reicht, wenn der Rahmen stimmt und die Motivation zur Integration vorhanden ist. Genau dieser notwendige Rahmen und die richtige Geisteseinstellung stellt das Team von Special Olympics sicher, an den nationalen Winter- respektive Sommerspielen sowie an den zahlreichen regionalen Sportanlässen in der Zeit zwischen den Spielen. Die nächsten National Games von Special Olympics Switzerland sind turnusgemäss wiederum Sommerspiele. Sie werden im Jahr  2018 in Genf durchgeführt.

    Hervé Dubois

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