Für Bundesrätin Viola Amherd ist die Abstimmung über die Beschaffung der Kampfflugzeuge am 27. September 2020 eine Grundsatzfrage, ob die Schweiz ihre Bevölkerung auch künftig vor Bedrohungen aus der Luft schützen kann. Zudem ist es für die VBS-Chefin auch eine Frage der Solidarität mit anderen Ländern. Von der Beschaffung der neuen Kampfflugzeuge profitiert auch unsere KMU-Wirtschaft und damit werden zahlreiche Arbeitsplätze gesichert.
Die Schweiz gilt als sicheres Land. Nun soll sie für sechs Milliarden Franken neue Kampfflugzeuge beschaffen. Wieso ist das notwendig?
Viola Amherd: Die heutigen Kampfflugzeuge müssen ersetzt werden. Die bestehende Flotte ist technisch veraltet und an ihrem Nutzungsende angelangt. Damit die Bevölkerung in der Schweiz auch nach 2030 vor Angriffen und Bedrohungen aus der Luft geschützt ist, müssen wir die Beschaffung der neuen Kampfflugzeuge heute angehen. Wir haben das Privileg, in einem sicheren Land zu leben. Die Situation kann sich jedoch rasch ändern. Als Verteidigungsministerin ist es meine Aufgabe, den Schutz der Menschen in der Schweiz gegen die verschiedensten Bedrohungen zu gewährleisten. Dazu gehören auch solche aus dem Luftraum.
Sie argumentieren, als neutrales Land muss sich die Schweiz selbst schützen können. Wieso ist das wichtig, die Schweiz ist ja von befreundeten Staaten umgeben?
Als neutrales Land inmitten von Europa muss die Schweiz selber in der Lage sein, ihren Luftraum zu verteidigen und ihre Bevölkerung vor Bedrohungen aus der Luft zu schützen. Es darauf ankommen zu lassen und zu glauben, unsere Nachbaren werden uns dann im Fall der Fälle schon in ihren Schutzschirm integrieren, ist fahrlässig. Abgesehen davon, dass ein Beitritt zu einer internationalen militärischen Allianz mit der Neutralität nicht vereinbar wäre, ist das für mich auch eine Frage der Solidarität mit anderen Ländern. Zumal wir es uns wirtschaftlich leisten können, für unsere Sicherheit selber zu sorgen.
Ein Nein zu neuen Kampfflugzeugen ist automatisch auch ein Nein zur Armee und der Sicherung der Schweiz. Wieso sind diese Kampfflugzeuge so existenziell für die Schweizer Armee?
Die Armee ist ein Gesamtsystem. Eine Armee ohne Luftwaffe ist Angriffen aus der Luft schutzlos ausgeliefert, da der Luftraum nicht verteidigt werden kann. Neben der Erneuerung der Luftwaffe stehen auch die Boden-Luft-Verteidigung und die Modernisierung der Bodentruppen auf dem Programm. Die Armee funktioniert nur, wenn alle Elemente einsatzfähig sind.
Vielen, vor allem jungen Menschen in der Schweiz, scheint nicht mehr klar zu sein, weshalb unser Land eigentlich eine Armee braucht. Was würden Sie ihnen antworten?
Die letzten Monate haben es deutlich gezeigt: Niemand kann vorhersagen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt. Deshalb braucht es die Armee auch heute noch. Hätte ich Ihnen Anfang des Jahres erzählt, dass der Bundesrat zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg eine Mobilmachung der Armee in diesem Ausmass beschliessen würde – Sie hätten mich für verrückt erklärt. Die Verteidigung und der Schutz von Bevölkerung und Land, ist gemäss Bundesverfassung der Kern unserer Armee. Zudem leistet sie subsidiäre Einsätze zur Unterstützung von Zivilen. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass dieser Auftrag noch immer seine Berechtigung hat. Die Kantone haben die Unterstützung eingefordert, die Armee hat diese sichergestellt.
Schon beim Gripen hiess es, ohne den Flieger sei die Luftverteidigung nicht mehr zu gewährleisten. Es ging doch. Jetzt tönt es wieder gleich. Warum sollen wir das glauben?
2014 sollte nur ein Teil der Flotte, der Tiger F-5, mit dem Gripen ersetzt werden. Heute geht es um die Erneuerung der gesamten Kampfflugzeugflotte der Luftwaffe. Und damit um die Grundsatzfrage, ob die Schweiz ihre Bevölkerung auch in Zukunft vor Bedrohungen aus der Luft schützen kann. Wird die Vorlage abgelehnt, stellt sich generell die Frage, wie es mit der Luftwaffe weitergeht.
Die Schweiz wurde Corona bedingt finanziell arg durchgeschüttelt. Kann sie sich die sechs Milliarden teuren Kampfjets überhaupt leisten oder ist das nicht eine Verschleuderung von «Steuermilliarden»?
Die Kampfflugzeuge werden über das ordentliche Armeebudget finanziert. Andere Bereiche wie beispielsweise Soziales, Gesundheit, Bildung und Forschung oder die Umwelt- und Klimapolitik müssen wegen der Gesamterneuerung der Luftwaffenflotte keine Abstriche machen. Ich bin mir jedoch bewusst: Das ist eine grosse Investition. Es handelt sich um Steuergeld, mit dem ich haushälterisch und korrekt umgehen will. Deshalb werden wir auch weiterhin transparent über die einzelnen Beschaffungsschritte informieren.
Linke Kreise schlagen vor, einen günstigeren Jet für den Luftpolizeidienst zu beschaffen und die aufgefrischten F/A-18 für den Einsatz in Notfall bereit zu haben. Wieso ist das VBS von diesem Vorschlag nicht begeistert?
All diese vermeintlichen Alternativen zu einem neuen Kampfflugzeug haben wir eingehend geprüft. Solche sogenannten leichte Kampfflugzeuge können zu wenig hochfliegen, sind zu langsam oder haben nicht die erforderlichen Radare und die nötige Bewaffnung. Derzeit sind auf dem Markt keine leichten Kampfflugzeuge erhältlich, welche die Minimalanforderungen auch nur für den Luftpolizeidienst erfüllen, geschweige denn die Anforderungen für den Schutz in einer Krise. Das gilt auch für Drohnen und Helikopter. Kein einziges Land führt den Luftpolizeidienst, geschweige denn andere Aufgaben mit leichten Kampfflugzeugen aus. Nicht einmal Italien, welches ein solches Flugzeug selber produziert.
Der Ersatz von Flugzeugen ist gemäss Befürwortern auch von grosser wirtschaftlicher Bedeutung. Erklären Sie das!
Der Hersteller des neuen Kampfflugzeuges muss 60 Prozent des Verkaufspreises wieder in der Schweiz investieren. Diese Kompensationsgeschäfte sind für die Schweiz aus strategischer und sicherheitspolitischer Sicht von Bedeutung. Es geht dabei natürlich um viele KMU und Arbeitsplätze, die in der Schweiz in allen Landesteilen angesiedelt sind, sowie um den Know-How-Transfer und den Zugang zu internationalen Märkten. Die regionale Verteilung der Offsetgeschäfte ist dabei wichtig. 65 Prozent der Aufträge werden in der Deutschschweiz vergeben. Die Westschweiz erhält 30 und die italienischsprachige Schweiz 5 Prozent. Welche Firmen das am Ende aber sein werden, ist noch nicht bestimmt. Übrigens profitiert die Wirtschaft nicht nur bei den neuen Kampfflugzeugen von diesen Gegengeschäften. Sondern auch bei den übrigen Beschaffungen.
Sagt das Volk – wie schon beim Gripen 2014 – Nein zu den Kampfflugzeugen. Was bedeutet das für die Schweiz?
Dann müssen wir über die Bücher gehen und analysieren, was den Ausschlag gegeben hat. Sicher ist: Die Luftwaffe, wie wir sie heute kennen, wird es bei einem Nein nicht mehr geben, und damit auch nicht mehr den Schutz, wie wir ihn heute nur schon mit dem alltäglichen Luftpolizeidienst haben.
Welche Chance geben Sie dieser Vorlage, dass sie in Ihrem Sinn angenommen wird?
Es geht nicht darum, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in meinem Sinn abstimmen. Es geht vielmehr um den Schutz der Bevölkerung und das ist das Wichtigste für mich als Verteidigungsministerin. Die Luftwaffe muss erneuert werden, sonst sind wir ab 2030 schutzlos vor Bedrohungen aus der Luft. Die Covid-19-Krise hat uns gezeigt, dass wir nie wissen können, wann die nächste Krise ausbricht oder die nächste Bedrohung auftaucht. Ich will parat sein und Kinder, Frauen und Männer auch nach 2030 vor Bedrohungen aus der Luft schützen. Und diesen Schutz finanzieren wir aus dem ordentlichen Armeebudget.
Interview:Corinne Remund
Air2030
Das Programm Air2030 besteht aus vier Projekten: Neues Kampfflugzeug, System der bodengestützten Luftverteidigung grösserer Reichweite, C2Air (Erneuerung des Führungs- und Kommunikationssystems des Luftraumüberwachungs- und Einsatzleitsystems) und Radar (Erneuerung der Sensorsysteme des Luftraumüberwachungs- und Einsatzleitsystems). Diese müssen inhaltlich, zeitlich und finanziell aufeinander abgestimmt sein.
Kampfflugzeuge und bodengestützte Luftverteidigung
Die Schweiz braucht sowohl Kampfflugzeuge als auch bodengestützte Luftverteidigung. Kampfflugzeuge sind flexibel und für verschiedene Aufgaben einsetzbar, von der Luftpolizei bis zur Unterstützung der Truppen am Boden. Sie können aber nicht sehr lange in der Luft verweilen. Die bodengestützte Luftverteidigung ist weniger flexibel und mobil, ermöglicht aber einen Schutz mit hoher Permanenz. Sie kann verschiedene Ziele bekämpfen, insbesondere auch anfliegende Lenkwaffen.
Weitere Infos: www.sicherheit-ja.ch